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Montag, 4. Juni 2012

Brauchen wir Stromtrassen?

Der erste Netzentwicklungsplan Strom (NEP) wurde am 30.05.2012 von den Übertragungsnetzbetreibern vorgestellt. Es geht um 3800 Kilometer neue Stromtrassen, die gebaut werden, um etwa 4000 Kilometer vorhandene Trassen, die aufgerüstet werden sollen und um rund 20 Milliarden Euro. Nur dadurch könne die Energiewende zum Erfolg gebracht werden. (StuttgarterZeitung.de, 25.05.2012)

Neubau

"Das Rückgrat der Energieinfrastruktur bilden die Übertragungsnetze", sie sind die „Stromautobahnen“ der Republik, sagen die Übertragungsnetzbetreiber, die die großen Strommengen direkt von den Kraftwerken über weite Distanzen zu den Verteilungsnetzwerken in den Regionen verteilen. (NEP 2012)
Im Netzentwicklungsplan heißt es, die von der Energiewende besonders betroffenen Regionen in Südwestdeutschland müssten besser mit der im Norden erzeugten Windenergie versorgt werden.
Wozu aber plant beispielsweise Baden-Württemberg, bis 2050 insgesamt 8000 über 160 Meter hohe Windkrafträder zu bauen, um fossile Energieträger zu ersetzen (StuttgarterZeitung.de, 25.05.2012), wenn es doch durch Offshore-Windkrafträder mit Hilfe von Stromautobahnen mit Strom versorgt werden kann?

Wurde das Versprechen einer dezentralen Versorgung, einer der Grundgedanken der Energiewende, aufgegeben? Ist die Versorgung mit Strom aus dem Norden nicht sicher genug? Oder sollen Stromproduzenten wie Übertragungsnetzbetreiber doppelt verdienen dürfen?

Über 30 Milliarden Euro sollen insgesamt in den kommenden zehn Jahren in die großen Übertragungsleitungen investiert werden. Den Löwenanteil werden sich Siemens, ABB und Alstom untereinander aufteilen, der Hauptprofiteur wird Siemens sein. (Die Profiteure des Netzausbaus, Handelsblatt, 01.06.2012)

Instandhaltung

Die vier großen Stromnetzbetreiber sind 50Hertz (vormals Vattenfall Europe Transmission,  Muttergesellschaft Elia System Operator), Tennet (vormals transpower stromübertragungs gmbh und Tochter der E.ON, Muttergesellschaft TenneT), Amprion (Amprion GmbH (RWE, bis Ende 2009 Firmierung unter RWE Transportnetz Strom) und TransnetBW (Tochter von EnBW).

Sie verlangen für die Instndhaltung Geld, obwohl sie über Jahre hohe Gewinne eingesteckt, aber an der Instandhaltung gespart haben.

Dank der Energiewende können sie die Gelegenheit nutzen: Die Politiker haben den Bürgern Termine der Energiewende angekündigt, die, sollten sie nicht eingehalten werden, ihre Glaubwürdigkeit stark erschüttern würde. Von diesem Druck profitieren die Netzbetreiber. Niemand fragt heute mehr, warum die Netze nicht instand gehalten wurden?

Stromhandel

Aber es gibt noch weitere Gründe für den Ausbau des Stromnetzes, an dessen Kosten die Steuerzahler beteiligt werden sollen.

Für Stromproduzenten wie Netzbetreiber sind die "Stromautobahnen" für die Durchleitung von Strom von
großem wirtschaftlichen Interesse. Der Strom, der beispielsweise in Norwegen, Schweden, Finnland, Russland, Polen oder Tschechien produziert wird, kann mit Hilfe der "Stromautobahnen" nach Spanien, Italien, Frankreich, Österreich, Schweiz oder Kroatien exportiert werden, inklusive Atomstrom.
Die Netzbetreiber verscheigen diese Möglichkeit der Gewinnerzielung auch nicht, warum auch? Unterstützung erhalten sie durch nahezu alle Parteien, sogar durch den BUND und Nabu. Im Netzentwicklungsplan heißt es: "Darüber hinaus verbinden die Übertragungsnetze das deutsche Stromnetz mit dem der Nachbarländer und ermöglichen so den länderübergreifenden Energieaustausch in Europa."

Der Strom wird an der Börse gehandelt und verschafft die Möglichkeit riesiger Gewinne, die privatisiert werden, aber auch die Gefahr riesiger Verluste, die dann sozialisiert werden, ähnlich wie derzeit bei den Banken. Die Steuerzahler finanzieren über die Stromtrassen nicht nur eine Geschäftsidee, sondern einen weiteren Wirtschaftskomplex, der aus einer Position der Stärke heraus ihnen nach Belieben das Geld aus der Tasche ziehen kann.

Politik

Durch den hoch subventionierten Bau von Offshore-Windanlagen wird mehr Strom und zu anderen Zeiten produziert als er benötigt wird. Über Anschlusswerte brauchte bisher niemand nachzudenken, denn die Produzenten bekommen dank staatlicher Zusagen ihr Geld auf jeden Fall. Aber: Politisch rechtfertigen lässt sich diese Subventionierung auf Dauer nicht. Deshalb hat die Politik ein eigenes Interesse daran, den Ausbau des Stromnetzes voranzutreiben: Er verdeckt eigene Fehlplanungen.

Während viele Politiker der meisten Parteien über eine Bedenkzeit froh wären, um zu vermeiden, dass in einem „Eilverfahren irreversible Fehlentscheidungen“ getroffen werden, gilt dies für viele grüne Politiker und Umweltschutzverbände offenbar nicht. Der Nachhaltigkeitsbeirat der Landesregierung Baden-Württemberg hatte gefordert, dass die Landesregierung „Planungsveranwortung“ übernehmen und „lokale Begehrlichkeiten einer besonnenen Betrachtung der Konsequenzen der Energiewende“ unterordnen solle. Ausgerechnet Vertreter von BUND und Nabu bezeichneten die Bedenken der Wissenschaftler als „Argumente von vorgestern“. Die BUND-Chefin Brigitte Dahlbender sagte: „Eine sofortige Energiewende ist alternativlos und sowohl umweltschonend als auch wirtschaftlich und sozialverträglich möglich.“ (Stuttgarter-Zeitung, 25.05.2012).

Sozialverträglich ist aber nicht nur eine Frage der Stromkosten. Nämlich dann, wenn die Windkrafträder oder die Strommasten vor der eigenen Haustür errichtet werden, könnte die Feststellung  zutreffen, dass "Wer gestern gegen den Bau von Atomkraftwerken auf die Straße gegangen ist, könnte morgen gegen den Bau von Strommasten durch Städte, Dörfer und Wälder zu Felde ziehen." "Je näher die Ungetüme an die Vorgärten heranrücken, desto mehr entzweit der Bau der Anlagen Nachbarn und ganze Dörfer." (dradio.de, 02.06.2012)

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